[only in German:] TROPOS und LIM unterstreichen Bedeutung von Aerosolen in der Klimaforschung

Kommentar zum Artikel ‚Wie Wolken entstehen’ in der Süddeutschen Zeitung vom 26.5.2016

 

In dem Artikel ‚Wie Wolken entstehen’ in der Süddeutschen Zeitung vom 26.5.2015 werden die Resultate des CLOUD Experiments am CERN sowie Messungen am Jungfraujoch zum Einfluss kosmischer Strahlung auf die Bildung atmosphärischer Aerosolpartikel beschrieben. Diese vor kurzem  in den Fachzeitschriften ‚Nature’ (Kirkby et al. 2016; Tröstl. et al. 2016) und ‚Science’ (Bianchi et al. 2016) veröffentlichten Resultate zeigen, dass unter bestimmten Bedingungen ein frühes Wachstum von Aerosolpartikeln auftreten kann, was auf die Bildung bestimmter hochoxidierter Moleküle („HOMs“) in der Gasphase und deren nachfolgendem Phasentransfer zurückzuführen ist. Die  HOMs-Bildung wurde bisher nur für biogene Vorläufer und deren Ozonolysen beschrieben – auch andere Oxidantien und organische Vorläufer sind denkbar. Die Autoren folgern u.a., dass die HOMs im frühen Partikelwachstum Schwefelsäure anthropogenen oder natürlichen Ursprungs ersetzen können. Ob solche Prozesse nicht nur im Hochgebirge, sondern auch in den für die Wolkenbildung besonders relevanten unteren Atmosphärenschichten unter Umweltbedingungen wirklich häufig ablaufen können, ist nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht klar. Insbesondere wäre für Regionen, in denen kaum Schwefelsäure in der Atmosphäre auftritt, nachzuweisen, dass tatsächlich die Partikelbildung und das Wachstum ähnlich effektiv ablaufen und dass Partikelkonzentrationen ähnlich hoch sind wie in den von Luftverschmutzung beeinflussten Gebieten. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft ist dieses nicht der Fall.

Zu den genannten Ergebnissen kommentiert B. Stevens, einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in der ‚Süddeutschen Zeitung’, dass man die Aerosole gleich ganz aus den Simulationen nehmen und die Erforschung ihrer Effekte auf das Klima einstellen solle, weil deren Einfluss gering sei. Dieser Aussage möchten wir ausdrücklich widersprechen.

Die Kommentierungen von Herrn Stevens suggerieren, dass die Erkenntnis, dass atmosphärische Aerosolpartikel nicht nur von Menschen verursacht werden sondern auch aus natürlichen Quellen entstehen und zur Wolkenbildung beitragen können, neu sei. Dies ist keineswegs der Fall. Auch die Aussage, dass Wolken schon vor der Industrialisierung existierten ist trivial. Generell ist es sehr problematisch, aus den Untersuchungsergebnissen zu einigen organischen Partikelbestandteilen direkt auf deren Auswirkung auf die Wolkenbildung auf klimarelevanten Skalen zu schließen. Falls jedoch, wie die Ergebnisse andeuten, Schwefelsäure bei der Partikelbildung teilweise oder ganz durch organische Substanzen ersetzt werden kann, bedeutet dieses keinesfalls, dass Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen für das Klimasystem verstanden und/oder unwichtig sind.

Klimamodelle können Aerosol-Wolkenprozesse noch nicht ausreichend realistisch abbilden. Daher kann die Bedeutung der neuen Ergebnisse für die Klimaentwicklung nicht ohne weiteres abgeleitet werden. Dass die Einflüsse atmosphärischer Aerosolpartikel auf das Klima im Allgemeinen nicht ignoriert werden sollten, wird auch in einer gerade erschienenen, thematisch relevanten Veröffentlichung in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift ‚Proceedings of the National Academy of Sciences’  verdeutlicht (Seinfeld et al 2016). Hier stellen die Autoren heraus, dass selbst bei einer Verringerung der Empfindlichkeit von Wolkeneigenschaften in Bezug auf Aerosolpartikeln, es in Zukunft, z.B. auf Grund der sinkenden Partikelkonzentrationen, nicht weniger wichtig wird, die von ihnen verursachten Modifikation des Treibhauseffekts und damit ihre Wirkung auf das Erdsystem besser zu verstehen.

Die Schlussfolgerung, dass die Rolle von Aerosolpartikeln im Klimasystem verstanden, ihre Auswirkungen hinreichend  geklärt und quantifiziert wären und somit zu diesem Themenkomplex nicht weiter geforscht werden solle, ist also in keiner Weise nachvollziehbar und entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Im Gegenteil, gerade wenn es bestätigt werden sollte, dass der neue Mechanismus im Klimasystem relevant ist, müssen Klimamodelle revidiert werden, um diese atmosphärenchemischen Prozesse realistisch abzubilden. Wie der Weltklimarat in seinem letzten Sachstandsbericht betont hat, gibt es großen Forschungsbedarf zum Aerosoleinfluss auf das Klima. Besonders unklar ist die Rolle des Aerosols für Vereisungsprozesse, die Eiskeimbildung und die Niederschlagsentstehung – auch dieses ist eine wichtige Form der Aerosol-Wolken-Wechselwirkung, die unbedingt berücksichtigt werden muss. Zukünftige Änderungen der anthropogenen Emissionen, der Landnutzung und Vegetation und die damit verbundenen Änderungen in der Art und Häufigkeit eisbildender Aerosole werden eine signifikante und gesellschaftlich hochrelevante Rolle speziell im Wasserkreislauf und allgemein im Klimasystem spielen.

Zweifellos wurden in der Vergangenheit auf dem Weg zum quantitativen Verständnis der Wirkungen von Aerosolpartikeln im Wetter und Klimasystem der Erde deutliche Fortschritte erzielt. Im Gegensatz zu Herrn Stevens sind wir aber der festen Ansicht, dass es auf diesem Weg weitere wichtige zu klärende wissenschaftliche Fragen gibt, und dass dieser Weg deshalb weiter beschritten werden muss.

 

 

gezeichnet

Prof. Dr. Ina Tegen, Prof. Dr. Hartmut Herrmann, Prof. Dr. Andreas Macke, Dr. Frank Stratmann, Dr. Ulla Wandinger, Prof. Dr. Alfred Wiedensohler (Leibniz-Institut für Troposphärenforschung)

Prof. Dr. Johannes Quaas, Prof. Dr. Manfred Wendisch (Leipziger Institut für Meteorologie, Universität Leipzig)

 

Literatur

Kirkby, J. et al. (2016): Ion-induced nucleation of pure biogenic particles. Nature, 533(7604), 521-526.

Tröstl, J. et al. (2016): The role of low-volatility organic compounds in initial particle growth in the atmosphere. Nature533(7604), 527-531.

Bianchi et al. (2016): New particle formation in the free troposphere: A question of chemistry and timing. Science352(6289), 1109-1112.

C. Schrader (2016): Wie Wolken entstehen,  Süddeutsche Zeitung, 26.5.2016

J. Seinfeld et al. (2016):  Improving our fundamental understanding of the role of aerosolcloud interactions in the climate system, Proceedings of the National Academy of Sciences · doi:10.1073/pnas.1514043113,