Oxidationsprozesse in Verbrennungsmotoren und in der Atmosphäre gehen gleiche Wege

Leipzig, 24.02.2021

Effiziente Autoxidation-Kettenreaktionen bei der Stoffgruppe der gesättigten Kohlenwasserstoffe nachgewiesen

 

Thuwal/Helsinki/Leipzig. Alkane, ein wichtiger Bestandteil des Kraftstoffs für Verbrennungsmotoren und eine wichtige Klasse von städtischen Spurengasen, gehen andere Reaktionswege ein als bisher angenommen. Diese Kohlenwasserstoffe, früher Paraffine genannt, produzieren dadurch große Mengen an hoch sauerstoffhaltigen Verbindungen, die zum organischen Aerosol und damit zur Luftverschmutzung in Städten beitragen können. Dies konnte ein internationales Forschungsteam jetzt durch Laborversuche mit modernster Messtechnik an der Universität Helsinki und am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig nachweisen.

Die Ergebnisse dieser interdisziplinären Arbeit liefern entscheidende Informationen über Oxidationsprozesse sowohl in Verbrennungsmotoren als auch in der Atmosphäre - mit direkten Auswirkungen für die Motoreneffizienz und die Bildung von Aerosolen besonders in Städten, schreibt das Forscherteam im Fachjournal Communications Chemistry, einem Open-Access-Journal der Springer-Nature-Verlagsgruppe.  

 

Oxidationsprozesse spielen eine große Rolle sowohl in der Atmosphäre als auch bei Verbrennungen. Eine Kettenreaktion, die als Autoxidation bezeichnet wird, wird durch hohe Motortemperaturen ermöglicht. Sie ist aber auch als eine wichtige Quelle für stark sauerstoffhaltige Verbindungen in der Atmosphäre, die organisches Aerosol bilden, wie Forschende aus Finnland, Deutschland und den USA 2014 nachweisen konnten. Die Autoxidation ist ein Grund für Alterungsprozesse organischer Verbindungen durch Sauerstoff aus der Luft. Sie trägt zum Verderben von Lebensmitteln und Wein bei.

Diese Kettenreaktion wird durch die Bildung von Peroxy-Radikalen (RO2) eingeleitet. Die Neigung von organischen Verbindungen, eine solche mehrstufige Autoxidation zu durchlaufen, bestimmt den Zündzeitpunkt des Kraftstoffs in Motoren und andererseits das Potential zur Bildung schwerflüchtiger kondensierbarer Dämpfe und folglich von organischem Aerosol in der Atmosphäre. Das Ausmaß, in dem die mehrstufige Autoxidation stattfindet, wird durch die molekulare Struktur der organischen Verbindungen und den Reaktionsbedingungen festgelegt. Die Bestimmung der verschiedenen Reaktionspfade der Peroxy-Radikale, die wichtige Intermediate (Zwischenprodukte) bei allen Oxidationsreaktionen darstellen, ist entscheidend für die Bildung der verschieden Reaktionsprodukte und deren Schlüsseleigenschaften, die letztlich sowohl die menschliche Gesundheit als auch das Klima beeinflussen können.

Da Peroxy-Radikale sehr reaktionsfreudig sind, laufen die chemischen Reaktionen sehr schnell ab und einzelne Reaktionsschritte wurden dadurch lange übersehen. So wurde erst durch Fortschritte in der Messtechnik die Entdeckung hoch sauerstoffhaltiger organischer Moleküle (HOMs) vor sieben Jahren möglich. Zum Einsatz kam jetzt bei der Messung der Radikale und Oxidationsprodukte von Alkanen ein spezielles Massenspektrometer, das diese sehr kurzlebigen Verbindungen registrieren kann (Chemical Ionization - Atmospheric Pressure Interface - Time of Flight (CI-APi-TOF) Massenspektrometer). „Bisher gab es keine Studien zur HOM-Bildung aus Alkanen, weil man annehmen musste, dass ihre Struktur ungünstig für die Autooxidation wäre“, berichtet Dr. Torsten Berndt vom TROPOS. Zur Stoffgruppe der Alkane gehört mit Methan beispielsweise ein wichtiges Treibhausgas. Aber auch die wichtigsten fossilen Brennstoffe der Weltwirtschaft aus Erdöl und Erdgas bestehen aus Alkanen: Dazu gehören unter anderem Propan, Butan, Pentan, Hexan, Heptan und Oktan. Neue Erkenntnisse über das Oxidationsverhalten dieser Stoffgruppe haben daher eine große Relevanz in vielen Bereichen.

Um einen tieferen Einblick in die Alkan-Autoxidation zu erhalten, wurden neben Versuchen in Helsinki auch Experimente im Leipziger Freistrahl-Strömungsreaktor am TROPOS durchgeführt. Die Versuchsanordnung ist so optimiert, dass die Gase während der Reaktion nicht mit den Wänden in Berührung kommen, um Ergebnisverfälschungen durch Wandprozesse auszuschließen. Bei den Versuchen konnten nahezu alle reaktiven Intermediate, RO2-Radikale, sowie deren Reaktionsprodukte direkt verfolgt werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Forschenden aus der Verbrennungschemie und der Atmosphärenchemie erwies sich dabei als sehr nützlich, weil bei den Verbrennungsprozessen analoge Prozesse ablaufen wie in der Atmosphäre, nur bei erhöhter Temperatur. „Als Ergebnis kam heraus, dass nicht nur Isomerisierungsreaktionen von RO2-Radikalen sondern auch von RO-Radikalen für den Aufbau höherer oxidierter Produkte zuständig sind. Durch die Studie wurde es möglich, mit Alkanen die letzte und vielleicht überraschendste Gruppe an organischen Verbindungen zu identifizieren, für die die Autooxidation von Bedeutung ist“, so das Fazit von Torsten Berndt.

Selbst bei hohen Konzentrationen von Stickoxiden, die sonst Autoxidationsreaktionen schnell beenden, produzieren die Alkane offenbar beträchtliche Mengen an hoch oxidierten Verbindungen in der Luft. Die neuen Erkenntnisse erlauben ein tieferes Verständnis der Autoxidationsprozesse und geben Anlass zu weiteren Untersuchungen zu Isomerisierungsreaktionen von RO-Radikalen. Tilo Arnhold

 

 

Publikation:

Wang, Z.; Ehn, M.; Rissanen, M.P.; Garmash, O.; Quéléver, L.; Xing, L.; Monge-Palacios, M.; Rantala, P.; Donahue, N.M.; Berndt, T.; Sarathy, S.M.: Efficient alkane oxidation under combustion engine and atmospheric conditions. Communications Chemistry (2021) 4:18.  https://doi.org/10.1038/s42004-020-00445-3
Diese Arbeit wurde gefördert von der National Natural Science Foundation of China (Grant 51976208), dem National Key Research and Development Program of China (Grant 2019YFA0405602), dem King Abdullah University of Science and Technology Office of Sponsored Research (Grant OSR-2016-CRG5-3022), dem Europäischen Forschungsrat (ERC, Grant 638703-COALA), der US National Science Foundation (NSF, Grant AGS1801897) und der Academy of Finland (Grants 299574, 326948, 307331, 317380 und 320094).

 

Medienkontakte:

Dr. Torsten Berndt
Wissenschaftler, Abteilung Chemie der Atmosphäre,
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)
Tel.: +49 341 2717- 7032
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/torsten-berndt

 

sowie
Prof. Zhandong Wang (in English)
National Synchrotron Radiation Laboratory and State Key Laboratory of Fire Science, University of Science and Technology of China &
King Abdullah University of Science and Technology (KAUST), Saudi Arabia
http://en.sklfs.ustc.edu.cn/2020/0609/c17194a427855/page.htm
https://cpc.kaust.edu.sa/people/detail/zhandong-wang-ph-d-

und
Prof. Mani Sarathy (in English)
Combustion and Pyrolysis Chemistry (CPC) Group, King Abdullah University of Science and Technology (KAUST), Saudi Arabia
https://www.kaust.edu.sa/en/study/faculty/mani-sarathy

 

oder
Tilo Arnhold
TROPOS-Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: +49-341-2717-7189
https://www.tropos.de/en/current-issues/press-releases

 

 

Links:

Neue Erkenntnisse zur größten natürlichen Schwefelquelle in der Atmosphäre (Pressemitteilung, 18.11.2019)
https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/neue-erkenntnisse-zur-groessten-natuerlichen-schwefelquelle-in-der-atmosphaere

Rasante Paarbildung – Nachweis eines neuen Reaktionsweges in der Atmosphäre (Pressemitteilung, 28.03.2018)
https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/rasante-paarbildung-nachweis-eines-neuen-reaktionsweges-in-der-atmos

Altbekannter Oxidationsmechanismus auch in der Atmosphäre aktiv – und das mit weitreichenden Folgen (Pressemitteilung, 10.12.2014)
https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/altbekannter-oxidationsmechanismus-auch-in-der-atmosphaere-aktiv-und

 

 

 

Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 96 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.
Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro. Finanziert werden sie von Bund und Ländern gemeinsam. Die Grundfinanzierung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) getragen. Das Institut wird mitfinanziert aus Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
http://www.leibniz-gemeinschaft.de
https://www.bmbf.de/
https://www.smwk.sachsen.de/

 

 

Der Nachweis dieses Prozesses gelang dem Team bei Laborexperimenten mittels einer speziellen Strömungsapparatur am TROPOS in Leipzig, welche störungsfreie Untersuchungen von Gasphasenreaktionen bei Atmosphärendruck zulässt. Foto: Tilo Arnhold, TROPOS

Der Nachweis dieses Prozesses gelang dem Team bei Laborexperimenten mittels einer speziellen Strömungsapparatur am TROPOS in Leipzig, welche störungsfreie Untersuchungen von Gasphasenreaktionen bei Atmosphärendruck zulässt. Foto: Tilo Arnhold, TROPOS

Laboraufbau des Freistrahl-Experimentes am TROPOS in Leipzig, das die Untersuchung der frühen Phase von Oxidationsreaktionen unter atmosphärischen Bedingungen ermöglicht ohne dass dabei die Wände das Reaktionsverhalten beeinflussen. Foto: Torsten Berndt, TROPOS

Laboraufbau des Freistrahl-Experimentes am TROPOS in Leipzig, das die Untersuchung der frühen Phase von Oxidationsreaktionen unter atmosphärischen Bedingungen ermöglicht ohne dass dabei die Wände das Reaktionsverhalten beeinflussen. Foto: Torsten Berndt, TROPOS