Corona-Lockdown:
Luftqualität am Ort resultiert immer aus der Kombination von Emissionen, chemischen Prozessen und Schadstoff-Transport

 

Ein TROPOS-Statement von
Hartmut Herrmann, Alfred Wiedensohler, Dominik van Pinxteren, Ulla Wandinger, Ina Tegen und Andreas Macke /
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Permoserstr. 15, 04318 Leipzig

 

 

Die COVID-19-Pandemie wurde vielfach als Anlass genommen, die Auswirkungen verminderter Emissionen von Luftschadstoffen während des Lockdowns daraufhin zu untersuchen, ob sich auch die Luftqualität in dieser Zeit entsprechend geändert hat.

 

In den Medien werden intensiv Ergebnisse diskutiert, wonach ein Zusammenhang zwischen weniger Emissionen und besserer Luftqualität nicht gefunden worden sei. Es wurden Äußerungen getätigt, dass eine schlechte Luftqualität durch autoverkehrsbedingte Emissionen nicht nachweisbar sei und es sich um eine interessengelenkte Scheindiskussion handele – so zuletzt u.a. in einer Debatte im Deutschen Bundestag am 18. Juni 2020. An diesen Diskussionen haben sich nicht nur Lobbyverbände und politische Parteien beteiligt, sondern auch selbsternannte Experten. ([i] [ii] [iii] [iv] [v] [vi] [vii])

 

Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) möchte hiermit aufgrund seiner wissenschaftlichen Expertise in der Chemie und Physik der Atmosphäre, der Fernerkundung und der Atmosphärenmodellierung zur Situation der Luftverschmutzung in Zeiten des SARS-CoV-2-Virus Stellung beziehen:

 

  1. Luftqualitätsprobleme in Deutschland, Europa und der Welt sind real und eine außerordentlich große Bedrohung für die Gesundheit der Menschen, die Intaktheit der Ökosysteme sowie für das Klima. ([viii] [ix] [x])
  2. Feinstaub und Stickoxide sind maßgebliche Komponenten der Luftverschmutzung in Deutschland. Der Verkehrssektor hat einen großen Anteil an der Emission dieser Luftschadstoffe sowohl über Abgase als direkte Motoremissionen als auch über Nicht-Motoremissionen wie Partikeln aus Brems- und Reifenabrieb. ([xi] [xii] [xiii] [xiv])
  3. In den Zeiten des Corona-Lockdowns hat sich die Situation der lokalen Luftverschmutzung nicht überall direkt verbessert, weil sich verschiedene Effekte überlagert haben: Einerseits nahmen manche, jedoch nicht alle, Emissionen vor Ort durch den Lockdown ab (siehe auch Punkt (4)). Andererseits brachte der atmosphärische Ferntransport gerade während des Lockdowns verschmutzte Luftmassen nach Deutschland. Beispielsweise führten Wald- und Feldbrände in Osteuropa während der trocken-warmen Hochdruckwetterlage im März/April zum Eintrag von Rauchpartikeln nach Mitteleuropa. Ergebnis: Die lokale Reduktion der Emissionen wurde ausgeglichen oder sogar überkompensiert. Ferntransport kann sowohl zu höheren, aber auch zu niedrigeren Belastungen vor Ort führen. Ein Einfluss mariner oder arktischer, also sauberer Luftmassen kann die regionale Luftverschmutzung auch absenken. Es ist zu beachten, dass bei der Beschreibung des Verhältnisses von Emissionen zu Immissionen immer meteorologische Einflüsse möglich sind, die bei Beurteilung der lokalen Luftqualität berücksichtigt werden. Regen, erhöhte Windgeschwindigkeit und starke vertikale Durchmischung tragen zur Verbesserung der Luftqualität bei. Umgekehrt können sich bei Trockenheit und austauscharmen Wetterlagen (bei einer niedrigen sog. Grenzschichthöhe) Partikel und Spurengase lokal mitunter deutlich anreichern. Dies war im Frühjahr 2020 der Fall. So waren laut Aussage des Deutschen Wetterdienstes die Monate März und April 2020 in Deutschland aufgrund einer Hochdruckwetterlage im Vergleich zum langjährigen Mittel ausgesprochen trocken und sonnenscheinreich, was die Anreicherung von Luftschadstoffen begünstigte. Dasselbe Ausmaß an Emissionen pro Fläche kann somit je nach Wetterlage zu sehr verschiedenen Luftschadstoff-Konzentrationen vor Ort führen. ([xv] [xvi] [xvii] [xviii] [xix] [xx] [xxi] [xxii] [xxiii] [xxiv] [xxv] [xxvi])
  4. Der Corona-Lockdown hat Emissionen aus manchen wichtigen Quellen wie z. B. dem Individualverkehr reduziert, andere aber nicht. Holzheizungen, Energieproduktion, Viehhaltung und Landwirtschaft, und hier insbesondere die Bearbeitung der stark ausgetrockneten Böden im Frühjahr, spielten weiterhin eine Rolle und trugen ebenfalls maßgeblich zur regionalen und lokalen Belastung bei. ([xxvii] [xxviii] [xxix] [xxx] [xxxi] [xxxii])
  5. Trotz großer Fortschritte bei der Verbesserung der Luftqualität in Deutschland und der EU in den letzten 65 Jahren ist der Prozess der Verbesserung der Luftqualität bei weitem noch nicht abgeschlossen und ein erstrebenswerter Endzustand ist noch nicht erreicht. ([xxxiii] [xxxiv] [xxxv] [xxxvi] [xxxvii] [xxxviii] [xxxix])
  6. Deutschland hat eine führende Position bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung im Zusammenspiel von Wissenschaft, politischen Gremien und der Wirtschaft. Die Expertise Deutschlands bei der Luftreinhaltung und der Atmosphärenforschung insgesamt hat nicht nur einem international renommierten Wissenschaftszweig, sondern auch einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor (einschließlich vieler Arbeitsplätze in der Umwelttechnologie) etabliert. ([xl] [xli])
  7. Um empfindliche Gruppen unserer Gesellschaft effektiv zu schützen, wurden einschneidende wirtschaftliche und politische Maßnahmen in der Corona-Krise getroffen. Für die Zeit nach der Corona-Krise sollte dringend überlegt werden, wie ein noch besserer Gesundheitsschutz der Bevölkerung erreicht werden kann. Diese Maßnahmen sollten ökonomisch und ökologisch ausgewogen sein, um als Modell für andere Teile der Welt dienen zu können. ([xlii] [xliii])

 

Fazit:

 

Reduzierte Emissionen während des COVID-19-Lockdowns müssen nicht automatisch zu geringeren Immissionen führen, da verschiedene komplexe Einflussfaktoren auf Schadstoffkonzentrationen in der Luft wirken. Ausgehend von einer wenig abnehmenden Luftbelastung in diesem vergleichsweise kurzen Zeitraum das gesamte Konzept der Luftreinhaltung und der Grenzwerte zu kritisieren, ist nicht sachdienlich und hat keine wissenschaftliche Grundlage.

Spezifisch zu den Effekten der Emissionsänderungen im Zusammenspiel mit anderen Einflussfaktoren währen des Lockdowns bereitet das TROPOS eine größere multidisziplinäre Studie vor. Hierbei werden Feinstaubdaten verschiedener nationaler und internationaler Messstationen in städtischen und ländlichen Räumen mit Emissionswerten und der Beschreibung des atmosphärischen Transportes zusammengebracht, um wissenschaftlich belegt die Ursachen für erhöhte oder auch reduzierte lokale Luftverschmutzung festzustellen. Die Untersuchungen sind eingebunden in eine Studie zu den Veränderungen in der Atmosphäre während und nach dem COVID-19-Lockdown durch die Europäische Forschungsinfrastruktur für Aerosol, Wolken und Spurengase (ACTRIS), dessen deutschen Beitrag TROPOS koordiniert.

 

Schlechte Luftqualität kann die Gesundheit des Menschen stark schädigen und kann besonders für Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich werden. Luftschadstoffe können nicht nur zu einem vorzeitigen Tod führen (Mortalität), sondern auch gesundheitliche Einschränkungen bewirken (Morbidität). Dieser Verlust an gesunder Lebenszeit ist nicht vernachlässigbar. Die Corona-Krise führte kurzzeitig zur Reduktion mancher Emissionen insbesondere bedingt durch reduzierten Verkehr. Mittel- und langfristig sind allerdings weitere Anstrengungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene notwendig, um den vorbeugenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern auch weiter zu verbessern.

 

 


Referenzen:

[i] Deutschlandfunk: Corona-Shutdown sorgt für niedrigere Abgaswerte > https://www.deutschlandfunk.de/luftverschmutzung-corona-shutdown-sorgt-fuer-niedrigere.697.de.html?dram:article_id=476212

[ii] MDR: Streit um Feinstaub-Werte: Sind es doch nicht die Autos? > https://www.mdr.de/nachrichten/politik/gesellschaft/luftwerte-feinstaub-stickoxide-corona-krise-verkehr-100.html

[iii] LVZ: „Überschrittene Feinstaub-Grenzwerte sind in verkehrsarmen Corona-Zeiten grotesk“ > https://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Verkehrsexperte-Ueberschrittene-Feinstaub-Grenzwerte-sind-in-verkehrsarmen-Corona-Zeiten-natuerlich-grotesk  

[iv] ARD-Kontraste: Corona und die Umwelt > https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-07-05-2020/mythen-halbwahrheiten-und-mittendrin-verkehrsminister-scheuer.html

[v] Bundestag: AfD stellt sich gegen Diesel-Fahrverbote in Innenstädten > https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw25-de-diesel-fahrverbote-698656

[vi] AfDKompakt: Gleiche Luftqualität bei weniger Verkehr zeigt Sinnlosigkeit der Fahrverbote > https://afdkompakt.de/2020/05/24/gleiche-luftqualitaet-bei-weniger-verkehr-zeigt-sinnlosigkeit-der-fahrverbote/

[vii] Die Wiedertäufer: Corona = weniger Verkehr = bessere Luft? So einfach ist die Rechnung nicht > https://wiedertaeufer.ms/corona-weniger-verkehr-bessere-luft-so-einfach-ist-die-rechnung-nicht/

[viii] WHO: Air pollution: https://www.who.int/health-topics/air-pollution

[ix] EEA: Air pollution is the biggest environmental health risk in Europe: https://www.eea.europa.eu/themes/air 

[x] UBA: Luft: https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft

[xi] Leopoldina: Ad-hoc-Stellungnahme „Saubere Luft“ (April 2019) > https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/Leo_Stellungnahme_SaubereLuft_2019_Web.pdf

[xii] UBA: Quellen der Luftschadstoffe > https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/emissionen-von-luftschadstoffen/quellen-der-luftschadstoffe

[xiii]Science of The Total Environment: COVID-19: Impact by and on the Environment > https://www.sciencedirect.com/journal/science-of-the-total-environment/special-issue/104GQG451CB

[xiv] SPIEGEL: Stickstoffoxid-Belastung in Großstädten - Corona-Effekt beweist Wirksamkeit von Fahrverboten > https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/corona-effekt-beweist-wirksamkeit-von-fahrverboten-a-fc833dab-4303-42ad-ac0a-8be175a79ea3 

[xv] ZEIT: Ist die Luft wegen Corona jetzt besser? > https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2020-04/luftqualitaet-europa-verbesserung-schadstoffwerte-lockdown-coronavirus/komplettansicht

[xvi] MZ: Trotz Corona-Lockdown - Warum die Luft in Sachsen-Anhalt schmutzig bleibt > https://www.mz-web.de/sachsen-anhalt/trotz-corona-lockdown-warum-die-luft-in-sachsen-anhalt-schmutzig-bleibt-36782682

[xvii] MDR: Saubere Luft in Thüringen während Corona > https://www.mdr.de/thueringen/corona-lockdown-luftqualitaet-verbessert-100.html

[xviii] RBB: Stickstoffdioxidwerte in Berlin: Die Luft ist besser – das muss aber nicht am Lockdown liegen > https://www.rbb24.de/panorama/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/04/lockdown-saubere-luft-stickstoff.html

[xix] HLNUG: Sauberere Luft durch Corona > https://www.hlnug.de/presse/pressemitteilung/sauberere-luft-durch-corona

[xx] Web.de: Darum liefern die Messstationen trotz Coronakrise keine geringeren Feinstaubwerte > https://web.de/magazine/panorama/coronakrise-liefern-messstationen-geringeren-feinstaubwerte-34640240

[xxi] Umweltbundesamt Österreich: Corona und die Auswirkungen auf die Luftqualität > https://www.umweltbundesamt.at/news200504

[xxii] The Guardian: Coronavirus UK lockdown causes big drop in air pollution > https://www.theguardian.com/environment/2020/mar/27/coronavirus-uk-lockdown-big-drop-air-pollution

[xxiii] University of York: New study reveals York’s air quality improves by 30 per cent during lockdown > https://www.york.ac.uk/news-and-events/news/2020/research/air-quality-improves-york-lockdown/

[xxiv] Twitter: Lockdown NO2 evolution in Valencia Region > https://twitter.com/CeamFundacion/status/1257674931195740160?s=20

[xxv] DWD: Ein sehr sonniger, milder März mit etwas zu wenig Niederschlag > https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2020/20200330_deutschlandwetter_maerz2020.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[xxvi] DWD: Sonnigster und dritttrockenster April seit Messbeginn in Deutschland > https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2020/20200429_deutschlandwetter_april2020.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[xxvii] King’s College London: Mixed pollution results for London during lockdown > https://www.kcl.ac.uk/news/mixed-pollution-results-london-during-lockdown

[xxviii] The University of Manchester: Traffic pollution drops in lockdown – but other risks to air quality increase > https://www.manchester.ac.uk/discover/news/traffic-pollution-drops-in-lockdown--but-other-risks-to-air-quality-increase-reveal-manchester-researchers/

[xxix] London: Pollution surge caused by garden bonfires during coronavirus lockdown > https://londonnewsonline.co.uk/pollution-surge-caused-by-garden-bonfires-during-coronavirus-lockdown/

[xxx] NOAA: NOAA exploring impact of COVID-19 response on the environment > https://research.noaa.gov/article/ArtMID/587/ArticleID/2617/NOAA-exploring-impact-of-coronavirus-response-on-the-environment

[xxxi] NOAA: NOAA’s Polar-Orbiting Satellites See Drop in U.S. Air Pollution > https://www.nesdis.noaa.gov/content/noaa%E2%80%99s-polar-orbiting-satellites-see-drop-us-air-pollution

[xxxii] CHMI: Pokles dopravy a změna mobility během nouzového stavu > https://chmibrno.org/blog/2020/05/17/pokles-dopravy-a-zmena-mobility-behem-nouzoveho-stavu/

[xxxiii] EEA: „Unequal exposure and unequal impacts: social vulnerability to air pollution, noise and extreme temperatures in Europe“ > https://www.eea.europa.eu/de/articles/wie-wirken-sich-umweltgefahren-in

[xxxiv] EEA Report No 10/2019: Air quality in Europe > https://www.eea.europa.eu//publications/air-quality-in-europe-2019 

[xxxv] Bundesregierung: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (Aktualisierung 2018) > https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/eine-strategie-begleitet-uns/die-deutsche-nachhaltigkeitsstrategie

[xxxvi] UBA: Entwicklung der Luftqualität in Deutschland > https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/daten-karten/entwicklung-der-luftqualitaet#entwicklung-der-luftqualitat-in-deutschland

[xxxvii] UBA: Luftqualität 2019 > https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/luftqualitaet-2019

[xxxviii] RBB: Mobilitätsanalyse mit Handydaten - Wie der Lockdown-Effekt verpufft > https://www.rbb24.de/panorama/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/04/ostern-mobilitaet-lockdown-disziplin.html

[xxxix] EU-Kommission: Staaten tun nicht genug gegen Luftverschmutzung: https://www.deutschlandfunk.de/fortschrittsbericht-eu-kommission-staaten-tun-nicht-genug.1939.de.html?drn:news_id=1145210

[xl] BMU: Masterplan Umwelttechnologien > https://www.bmu.de/themen/wirtschaft-produkte-ressourcen-tourismus/wirtschaft-und-umwelt/umwelttechnologien/masterplan-umwelttechnologien/

[xli] BMU: GreenTech made in Germany 2018 - Umwelttechnik-Atlas für Deutschland > https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/greentech_2018_bf.pdf

[xlii] Leibniz-Gemeinschaft: Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft >  https://www.leibniz-gemeinschaft.de/forschung/corona-forschung.html

[xliii] Leibniz-Gemeinschaft: Corona-Krise - Krisen einer globalisierten Welt > https://www.leibniz-krisen.de/aktuelles/corona-pandemie-eine-krise-der-globalisierten-welt/thema-corona-krise.html

 

Dresden während des Corona-Lockdowns (12.04.20): Blick von Gompitz über die leere Coventrystraße (B173) auf die Stadt. Foto: Tilo Arnhold, TROPOS

Dresden während des Corona-Lockdowns (12.04.20): Blick von Gompitz über die leere Coventrystraße (B173) auf die Stadt. Foto: Tilo Arnhold, TROPOS