Corona-Pandemie könnte durch Reduzierung der Aerosol-Übertragung besser bekämpft werden.

Leipzig, 08.12.2020

Arbeitsausschuss Feinstäube (AAF) empfiehlt konkrete Gegenmaßnahmen für Innenräume: Masken, Lüften, Luftreinigung und Überkopfabsaugungen

 

 

Leipzig/Frankfurt/Main/Düsseldorf. Aerosole und ihre Ausbreitung spielen im Zusammenhang mit der Übertragung von Covid-19 eine wesentliche Rolle. Das Übertragungsrisko könnte jedoch deutlich gesenkt werden, wenn mehr zur Reduzierung der Viren in der Innenraumluft getan würde. Der Arbeitsausschuss Feinstäube (AAF) hat daher eine Stellungnahme mit konkreten Empfehlungen vorgelegt. Dazu zählen u.a. Entlüftungen, Absaugungen, Luftreinigungsanlagen und CO2-Messgeräte für Innenräume wie Klassenzimmer oder Verkehrsmittel sowie der verstärkte Einsatz von N95- und FFP2-Masken. Diese Gegenmaßnahmen könnten kurzfristig helfen, vor allem im Winter die Corona-Pandemie besser einzudämmen bis Impfungen großflächig wirken werden. Sie könnten aber auch langfristig helfen, Infektionen wie die saisonale Grippe oder weitere Pandemien in Zukunft besser zu kontrollieren.

 

 

Der Arbeitsausschuss Feinstäube vereint Expertinnen und Experten aus Ingenieurswissenschaften, Chemie, Physik, Biologie, Meteorologie und Medizin, die in den Fachgesellschaften ProcessNet (DECHEMA/ VDI-GVC), Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) organisiert sind. In seiner Herbstsitzung hat der Arbeitsausschuss Feinstäube (AAF) die Rolle von Aerosolpartikeln bei der Ausbreitung der SARS-CoV2-Viren diskutiert und dazu eine Stellungnahme erarbeitet. Auf Basis Ihrer Expertise beschreiben die Autoren in der jetzt veröffentlichten Stellungnahme verschiedene Aerosoltypen hinsichtlich ihrer Entstehung, Reichweite, Verweilzeit in der Luft und leiten daraus Empfehlungen zum Schutz durch verschiedene Maßnahmen ab. Die Autoren unterstützen ausdrücklich die aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, schlagen aber vor, noch mehr zur Reduzierung von Viren in der Raumluft zu tun.

 

Der Arbeitsausschuss Feinstäube rät zur strikten Anwendung der Empfehlungen aufgrund des aktiven Aerosolausbreitungspfads: Masken (besonders der Einsatz von N95- und FFP2-Masken) sind hilfreich und notwendig, Lüften ist eine gute Sofortmaßnahme und geeignete Luftreiniger sollten angewendet werden.

Weiterhin kommt das Gremium zu dem Schluss, dass über die bereits getroffenen Maßnahmen hinaus mehr Augenmerk auf die Art des Lüftens gerichtet werden sollte: Besonders die kleinere Aerosolteilchen steigen mit der warmen Atemluft auf und verbreiten sich dann unterhalb der Raumdecke. Die Fachleute des Arbeitsausschusses empfehlen daher, bei Lüftungsanlagen darauf zu achten, dass die Frischluftzufuhr nicht von oben nach unten erfolgt, da dies zur Verwirbelung von Frisch- und Atemluft führt und Viren dann länger in der Raumluft schweben können. Dazu würden auch Deckenventilatoren beitragen, die in der momentanen COVID-19-Pandemie kontraproduktiv seien. Stattdessen sollte darauf geachtet werden, dass tatsächlich nach oben abgesaugt wird. In Flugzeugen oder im öffentlichen Nahverkehr könnte perspektivisch eine Umkehrung der Luftzu- und Abführung Abhilfe schaffen.

 

Das Expertengremium rät darüber hinaus dazu, kurzfristig Entlüftungen und Überkopfabsaugungen in vielen Bereichen zu installieren, besonders in Schulräumen oder in der Gastronomie. Die Beobachtung der CO2-Konzentration sei ein geeigneter Indikator dafür, wie gut die Belüftung wirkt. Auch für Kultureinrichtungen könnten sich durch Überwachung des CO2-Anteils und damit der Innenraumluft später Möglichkeiten für eine Normalisierung des Betriebs ergeben. In den Bundesländern sollten Mittel bereitgestellt werden, damit Entlüftungen, Absaugungen, Luftreinigungsanlagen und CO2-Messgeräte in den Schulklassen installiert werden können. Auf lokaler Ebene wäre es hilfreich, wenn Verwaltungsreglungen gelockert und Schulleitungen mehr Gestaltungsspielraum bekämen. Bei konsequenter Umsetzung der Maßnahmen könnten ca. 90 Prozent aller potenziell virenhaltiger Aerosole aus den Klassenzimmern entfernt werden.

 

„Wir sehen deutlich den damit verbundenen kurz- und mittelfristigen personellen und technischen Aufwand, sind aber überzeugt, dass die angemessene Berücksichtigung der Virusausbreitung über den Aerosolpfad zu einer kurzfristigen und auch nachhaltigen Eindämmung des jetzigen Infektionsgeschehens führen kann. Solche Investitionen wären auch für später von Vorteil, beispielsweise für die Luftqualität in den Klassenzimmern“, erklärt Prof. Hartmut Herrmann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), der Vorsitzender des Arbeitsausschuss Feinstäube (AAF) ist. Herrmann hatte zuvor bereits an Empfehlungen einer internationalen Gruppe von Aerosol-Forschenden mitgearbeitet (https://tinyurl.com/y4wuodkt) sowie über die VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) (https://www.vdi.de/fileadmin/pages/vdi_de/redakteure/themen/Corona/Dateien/Das_Corona-FAQ_VDI.pdf), die in die deutschen Empfehlungen eingeflossen sind. Auch wenn die Weltgesundheitsorganisation WHO immer noch zu wenig darauf aufmerksam macht, für Fachleute steht längst außer Zweifel, dass Aerosole, also winzige Schwebteilchen in der Luft, stark zur Ausbreitung der SARS-CoV2-Viren beitragen. „Wir sind uns bewusst, dass die technische Umsetzung von effizienteren Lüftungsmaßnahmen vermutlich eine der anspruchsvollsten Maßnahmen in der momentanen Situation in Deutschland ist. Der Infektionsschutz vor virenbelasteten Aerosolpartikel in Innenräumen und Verkehrsmitteln durch verbesserte Lüftungstechnik ist aber gerade in den kalten Wintermonaten besonders wichtig, um Corona-Superspreader-Events zu vermeiden“, unterstreicht Prof. Peter Wiesen von der Bergischen Universität Wuppertal, der einer der Autoren der Stellungnahme ist.

 

Der Arbeitsausschuss sieht über die bereits getroffenen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina hinaus die Chance, mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen zunächst kurzfristig, die Covid-19-Pandemie einzudämmen, bis ein Impfstoff wirklich breite Bevölkerungskreise erreicht hat. Außerdem  könnten mit diesen Maßnahmen in der Zukunft auch Infektionen wie die saisonale Grippe, die über den Luftpfad verbreitet werden, zurückgedrängt werden.

 

 

 

Publikation:

Covid-19 und die Rolle von Aerosolpartikeln - Stellungnahme des Arbeitsausschusses Feinstäube (AAF) von DECHEMA/ProcessNet, GDCh und KRdL

https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/covid-19-und-die-rolle-von-aerosolpartikeln

Der Arbeitsausschuss Feinstäube (AAF) ist ein Gremium folgender wissenschaftlicher Vereinigungen: DECHEMA (Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. Frankfurt; ProcessNet: Plattform für Chemische Verfahrenstechnik von DECHEMA und VDI-GVC (mit  VDI: Verein Deutscher Ingenieure e.V., Düsseldorf und GVC:Gesellschaft für Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen im VDI e.V. Düsseldorf; GDCh (Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V., Frankfurt) und KRdL (VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) - Normenausschuss, Düsseldorf).

Diese Stellungnahme wird unterstützt und mitgetragen vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) und der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF).

Die Stellungnahme wurde verfasst von H. Herrmann, P. Wiesen, R. Zellner und C. Zetzsch mit Beiträgen von E. Hösen-Seul, W. Koch, U. Krämer, G. Lammel, A. Mayer, S. Metzger, S. Nehr, U. Pöschl, E. Schmidt und K. Schwarz.

 

 

 

Medienkontakte:

 

Prof. Hartmut Herrmann

Leiter der Abteilung Chemie der Atmosphäre am

Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)

Tel.: +49-341-2717- 7024

https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/hartmut-herrmann

 

und

Tilo Arnhold

TROPOS-Öffentlichkeitsarbeit

Tel.: +49-341-2717-7189

https://www.tropos.de/en/current-issues/press-releases

 

 

 

weitere Informationen:

 

Arbeitsausschuss Feinstäube (AAF)

https://processnet.org/Fachgemeinschaften/Sustainable+Production_+Energy+and+Resources/Feinst%C3%A4ube.html

 

FAQs (Text kann umschaltbar, in vielen Sprachen dargestellt werden) on Protecting Yourself from COVID-19 Aerosol Transmission

https://tinyurl.com/FAQ-aerosols

 

„FAQs zum Schutz vor Covid-19 Aerosolübertragung“ - Version 1.78 vom Oktober 2020 auf deutsch via  KRdL:
https://www.vdi.de/fileadmin/pages/vdi_de/redakteure/themen/Corona/Dateien/Das_Corona-FAQ_VDI.pdf

 

Unterstützung des Appells für Schutzmaßnahmen gegen die luftgetragene Verbreitung von Covid-19

https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/statements/unterstuetzung-appell-bezueglich-covid-19

 

 

 

 

Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 96 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.

Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.00 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro. Finanziert werden sie von Bund und Ländern gemeinsam. Die Grundfinanzierung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) getragen. Das Institut wird mitfinanziert aus Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

http://www.leibniz-gemeinschaft.de

https://www.bmbf.de/

https://www.smwk.sachsen.de/

 

 

Darstellung der Größenverhältnisse von SARS-CoV-2 Viren (0,1 µm) bei Aerosolpartikelemissionen aus Nase und Mund. (Von links nach rechts: (A): Ruheatmung, (B): Sprechen, Singen und Schreien (Mund), (C): Noch größere Tröpfchen werden beim Niesen aus Nase und Mund ausgestoßen. Schwebende Viren sind in Speichel oder eingetrocknete Lungenflüssigkeit eingebettet, feuchtkaltes Klima und Dunkelheit verlängern ihre Aktivität. Partikel A können in ungelüfteten Räumen länger als einen Tag schweben, Partikel B mehrere Stunden. Die größten Partikel (C und zumeist noch größer) vom Niesen sinken in wenigen Sekunden zu Boden. Anders als Alltagsmasken schützen N95- und FFP2-Masken auch gegen Partikel A.)
Grafik: Hartmut Herrmann / Konstanze Kunze, TROPOS