Urbane Räume üben durch ihre dichte Bebauung und die Vielzahl an versiegelten Oberflächen einen signifikanten Effekt auf lokale meteorologische Prozesse und mikroklimatische Bedingungen aus, welche in weiterer Folge auch die Ausbreitung und Verteilung von städtischen Luftschadstoffen beeinflussen. Als wichtige solcher Effekte zu benennen sind der Wärmeinseleffekt, eine Abweichung des üblichen logarithmischen Windprofils, die Anhebung der urbanen Grenzschichthöhe, sowie generell verstärkte turbulente Transportprozesse innerhalb der urbanen Grenzschicht. So trägt beispielsweise der städtische Wärmeinseleffekt maßgeblich zu einer höheren gesundheitlichen Belastung der urbanen Bevölkerung während Hitzeperioden bei, womit ein wichtiges Anwendungsgebiet der urbanen Modellierung auch in der Untersuchung und Planung von Grünflächen und Baumbeständen zur Linderung dieses Effektes liegt. Für die urbane Luftqualität spielt die Bebauung insofern eine wichtige Rolle, als dass sie die Ausbreitung von Emissionen zum Teil behindern oder auch lokal verstärken kann, was zu einer räumlich sehr variablen Schadstoffbelastung führt. Am TROPOS werden diese Effekte auf unterschiedlichen Skalen mittels geeigneter Modellstudien erforscht. Für diesen Zweck stehen als Werkzeuge unterschiedliche Modelle und Verfahren zur Verfügung, welche teilweise auch am TROPOS entwickelt werden.
Regionales Modell COSMO-MUSCAT mit Stadtparametrisierung
3D-Darstellung einer Gebäudeauswahl des Stadtmodells für Leipzig.
Das regionale Modell COSMO-MUSCAT [Wolke et al., 2012] findet bereits seit vielen Jahren Anwendung in der Luftqualitätsmodellierung am TROPOS. Durch die Implementierung der Stadtparameterisierung DCEP (Doppel-Canyon-Effekt-Parameteriserung) [Sebastian Schubert, HU Berlin] in COSMO-MUSCAT konnte der Anwendungsbereich auf städtische Gebiete erweitert werden. DCEP basiert auf einer vereinfachten Stadtgeometrie, in der Straßenschluchten mittels Doppel-Canyon-Elementen approximiert werden, die je nach Versiegelungsgrad einen bestimmten prozentualen Anteil der Modellzelle einnehmen. Die horizontale Ausrichtung sowie die Höhen der Straßenschluchten oder -canyons werden mit einer statistischen Verteilung beschrieben, welche auf Grundlage eines geometrischen 3D-Gebäude-Modells für die jeweilige Stadt ermittelt wird. Auch die mittlere Straßen- und Gebäudebreite wird für jede diskrete räumliche Ausrichtung anhand dieser Daten berechnet.
Gebäudehöhen für das komplette Stadtmodell für Leipzig mit ca. 100.000 Gebäudeeinheiten. Hinterlegt ist das Rechengitter einer COSMO-MUSCAT-Simulation.
DCEP berechnet für die vorliegende Doppel-Canyon-Struktur ein physikalisches Modell, welches unter anderem einen detaillierten Strahlungstransfer und eine Wärmeleitungsgleichung für urbane Flächen beinhaltet. Als wichtige prognostische Größe ergibt sich daraus die Oberflächentemperatur, welche in Folge die Parameterisierung des sensiblen Wärmeflusses in die Atmosphäre bestimmt. In ähnlicher Weise erfolgt die Parameterisierung von Impulsflüssen durch Reibungseffekte der Gebäude, sowie zusätzliche Produktionsterme für die subgrid-skalige turbulente kinetische Energie, wobei hier auch die turbulente Mischungslänge auf die mittlere Gebäudehöhe angepasst wird.
In praktischen Simulationen bewirken der Wärmeinseleffekt zusammen mit den verstärkten turbulenten Transportprozessen meist eine deutliche Absenkung bodennaher Luftschadstoff-konzentrationen innerhalb städtischer Gebiete im Vergleich zu Simulationen, die solche Effekte nicht berücksichtigen.
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Simulierte 2m-Temperatur für die Stadt Leipzig mit DCEP.
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Wärmeinseleffekt dargestellt durch Differenz zu einem Kontrolllauf ohne DCEP.
Urbane Dispersionsmodellierung
Luftqualitätssimulationen auf regionaler bis urbaner Skala, beispielsweise mit dem Chemie-Transport-Modell COSMO-MUSCAT, sind für den städtischen Hintergrund repräsentativ. Für eine realistische innerstädtische Verteilung der Luftschadstoffkonzentration, insbesondere im verkehrsnahen Bereich, sind jedoch weit höhere horizontale Auflösungen erforderlich. Außerdem genügt die Parametrisierung der Gebäudeeffekte nicht mehr. Die Stadtstrukturen müssen in einem detaillierten Strömungsmodell realitätsgetreu eingebettet sein. Zur Untersuchung der Luftverschmutzung und relevanter Prozesse auf der städtischen Mikroskala wird am TROPOS das neue City-scale AIR dispersion model with DIffusive Obstacles (CAIRDIO) [Weger et al., 2021] als Downscaling Methode entwickelt. Für die anwendungsnahe Modellierung städtischer Luftqualität wird zudem das neue Stadtklimamodell PALM-4U genutzt.
Mikroskaliges Stadt-Dispersionsmodell CAIRDIO
Mit CAIRDIO wird ein Ansatz weiterentwickelt, bei dem Gebäude als diffuse Strömungshindernisse dargestellt werden. Damit kann die horizontale Gitterweite flexibler gewählt werden, so dass Rechenzeit eingespart oder größere Gebiete gewählt werden können, um so z.B. ganze Städte relativ detailliert zu simulieren.Die räumliche Diskretisierung der diffusen Gebäude erfolgt mittels einer Finite-Volumen-Methode, wobei das Rechengitter kartesisch ist, aber die effektiven Zellvolumina und Austauschflächen zwischen den Gitterzellen durch Gebäude eingeschränkt sind. Die effektiven Zellvolumina ergeben sich direkt aus dem kartesischen Volumen abzüglich der in der jeweils betrachteten Gitterzelle enthaltenen Gebäudevolumina. Durch die effektiven Austauschflächen werden die blockierenden Effekte der Gebäude auf die Strömung in die jeweils betrachtete Raumrichtung berücksichtigt, wobei hier eine Art integrativer “Flaschenhalsansatz” verwendet wird, um auch Gebäude, die sich vollständig innerhalb einer Gitterzelle befinden, zu berücksichtigen. Durch die Formulierung der prognostischen Strömungsgleichungen in Erhaltungsform nehmen somit die Gebäude direkten Einfluss auf die Austauschflüsse zwischen den Gitterzellen für die jeweils erhaltene physikalische Größe, wie z.B. der Impuls.
Horizontale Diskretisierung eines Gebäudes mit dreieckigem Innenhof mittels eines feinmaschigen und eines grobmaschigen Gitters anhand der Skalierungsfaktoren für Volumen und Zellflächen (dargestellt für die x- und y-Strömungsrichtung). Im diffusen Fall bleibt der blockierende Effekt der Gebäudestirnflächen trotz des grobmaschigen Gitters erhalten.
Der Ansatz mit den diffusen Gebäuden wurde im neuen urbanen Dispersions-Modell CAIRDIO integriert. CAIRDIO löst die Strömungsgleichungen wahlweise in der Boussinesq oder anelastischen Approximation und verwendet für eine realistische Meteorologie räumlich interpolierte Ergebnisse einer mesoskaligen Modellanwendung mit COSMO-MUSCAT als Randwerte. Weiterhin können die Temperatur sowie spezifische Feuchte von Oberflächen mittels eines speziellen Rekonstruktionsverfahrens ebenfalls aus der mesoskaligen Simulation herangezogen werden. Damit können die entsprechenden Oberflächenflüsse für eine realistische Grenzschicht-Dynamik mithilfe der Mokin-Obukhov-Theorie parameterisiert werden.
Das Modell CAIRDIO wurde bereits erfolgreich mit Windtunnelexperimenten validiert und wird aktuell in kombinierter Anwendung mit dem mesoskaligen Luftqualitätsmodel COSMO-MUSCAT zur Simulation der innerstädtischen Rußverteilung in Leipzig getestet.
Numerische Simulation eines Windtunnelexperimentes zum Tracer-Transport einer punktförmigen Quelle innerhalb einer urbanen Grenzschicht-Strömung mit neutraler Schichtung. Die Tracer-Wolke ist violett dargestellt.
Im Zeitmittel zeigt die simulierte Tracer-Konzentration eine sehr gute Übereinstimmung mit den Messungen, welche durch Kreise dargestellt sind.
Simulation einer konvektiven Grenzschicht über der Stadt Leipzig tagsüber, welche durch einen positiven sensiblen Wärmefluss, insbesondere von den erwärmten urbanen Oberflächen, induziert wird. Links ist die potentielle Temperatur, rechts die Vertikalgeschwindigkeit 10m über Grund gezeigt. Die Organisation der Konvektion erfolgt in Zellen, welche allerdings über den kühlen Gewässern abgeschwächt oder gänzlich abwesend sind.
Die entsprechende Simulation der Rußkonzentration zeigt eine rapide Abnahme mit zunehmender Entfernung von den Verkehrsstraßen, was auf einen effizienten Vertikaltransport durch die Konvektion hindeutet.
Innerstädtische Verteilung der Rußkonzentration in Leipzig bei 40m horizontaler Auflösung, nun gemittelt über eine Simulationsperiode von 2 Tagen.
Simulation des Stadtteils Leipzig-Lindenau bei einer Auflösung von 5m. Zu erkennen sind nun feinere Details, wie Verwirbelungen und Effekte durch Gebäude. Auch ist die vielbefahrene Lützner Straße durch erhöhte Primär-Feinstaub-Konzentrationen deutlich sichtbar.
Stadtklimamodell PALM-4U – Leipzig Setup
Das TROPOS verwendet darüber hinaus das neue Stadtklimamodell PALM-4U [Maronga et al., 2015; Resler et al., 2017] für Downscaling-Zwecke und zur Untersuchung der Zusammenhänge von Stadtklima und Luftqualität. PALM-4U wird im Rahmen des deutschlandweiten Forschungsprojekts "Modellbasierte Stadtplanung und Anwendung im Klimawandel" (MOSAIK) im BMBF-Programm "Stadtklima im Wandel - [UC]²" entwickelt. Das Modell basiert auf dem PArallelised Large-eddy simulation Model (PALM), das ursprünglich vom Institut für Meteorologie und Klimatologie (IMUK) der Leibniz Universität Hannover entwickelt wurde. PALM-4U ist mit speziellen Komponenten ausgestattet, die geeignet sind, die verschiedenen Eigenschaften der städtischen Umwelt zu beschreiben, und umfasst eine Reihe von Werkzeugen und Diagnosen für Stadtplanung sowie wissenschaftliche Forschung. Das Modellsystem PALM-4U ist eine frei zugängliche Software, deren Komponenten vom MOSAIK-Konsortium weiterentwickelt werden. Es eignet sich für Simulationen von Großstädten mit einer Größe von bis zu 2.000 km² und rasteraufgelösten Gebäuden auf einem kartesischen Gitter mit Gitterweiten bis zu 1 m und darunter. Modellkomponenten, die für die Forschung am TROPOS besonders relevant sind, umfassen eine ausgefeilte Darstellungen von Land- und Stadtoberflächen und des Strahlungstransfers innerhalb der städtischen Grenzschicht. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Nestung in realistische mesoskalige Wettermodelldaten, ein Chemiemodul für den Transport und die Umwandlung reaktiver Gasspezies, eine einfache Photolyseparametrisierung, ein sektionales Aerosolmodul sowie Beschreibungen der trockenen Deposition von Gasen und Partikeln.
Für Leipzig existiert eine PALM-4U Modellumgebung für gebäudeauflösende Simulationen für ein Teilgebiet der Stadt, das sich zwischen dem Friedenspark und dem Lene-Voigt-Park im Südosten Leipzigs erstreckt. Das Modellgebiet hat gegenwärtig eine Größe von 1,5 km x 1,5 km mit einer horizontalen Gitterweite von 5 m und 42 vertikalen Schichten von 2 m. Die Konfiguration verwendet sehr detaillierte Informationen zur Gebäudegeometrie, Vegetation und Straßentypen sowie Straßenverkehrsemissionen. Das Modell wird durch die regionale COSMO-D2-Analyse des Deutschen Wetterdienstes (DWD) dynamisch angetrieben.
Gebäudeauflösende PALM-4U Simulationen für ein Modellgebiet zwischen Friedenspark und Lene-Voigt-Park' im Südosten von Leipzig. Dargestellt sind (a) Vegetation und Gebäude, (b) Bodentemperatur und (c) oberflächennahes NO2 Konzentration für den 18. Oktober 2019, 15:00 UTC.
Erste Modellergebnisse für die heißen Sommer- und Herbsttage der letzten Jahre 2018/2019 zeigen eine große Variabilität der Oberflächenrauhigkeit und Strahlungsflüsse im gesamten Gebiet, was auf die gemischte Bebauungsstruktur einschließlich der angrenzenden Parks mit Bäumen und Rasenflächen zurückzuführen ist. Wie von PALM-4U wiedergegeben, führen diese Merkmale zu einer starken differentiellen Erwärmung und oberflächennahen Temperaturgradienten zwischen begrünten und bebauten Gebieten und verursachen die für diese städtische Umgebung erwartete turbulente Strömungssituation. Die städtischen Strömungsmuster beeinflussen die Ausbreitung von Luftschadstoffen wie NO2. Hotspots der Verkehrsemissionen und die verzögerte Windströmung in Straßenschluchten führen zu hohen Konzentrationen in einigen stark befahrenen, engen Straßen, während die Luftverschmutzung in den größeren Parkanlagen und Hinterhöfen deutlich geringer ist.